
Verzauberung auf der Bühne
Zuschauer:innen strömen in den Hörsaal 13B. Alle sind gespannt, was die nächsten zwei Stunden auf sie zukommen wird. Schon bald verstummt das aufgeregte Getuschel und das Licht geht aus, denn das Stück „Die Verzauberung“ beginnt.

Ein Blick auf die Bühne
„Erinnerungen einer Landärztin begonnen im Winter in Ober-Kuppron … Nein, das war es nicht.“, der Student David Stöckmann, der mit einem Buch unterm Arm auf der leeren Bühne steht, eröffnet so das Geschehen. Bei dem Studenten in Anzug und mit Glitzer auf den Wangen handelt es sich um den allwissenden Erzähler. Er begleitet das Stück in der Retrospektive, aber er bleibt nicht lange allein auf der Bühne. Schon bald wird sein Gedankengang von jemandem unterbrochen, der rasch nach vorne kommt und das Wort ergreift. Laura Kotulla, die mit ihrem ausdrucksstarken Mienenspiel überzeugt, betritt in der Rolle der Doktorin die Bühne und zieht die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich. Es wird klar: Die beiden stellen eine Art Doppelrolle dar, der Erzähler ist die allwissende Zukunftsvision der Doktorin.
Vom Romanfragment zum Skript
Das Stück spielt in dem Bergdorf Kuppron. Dort steht eine Goldmine still. Ein Fremder namens Marius Ratti fordert die Wiederaufnahme des Bergbaus und verspricht den Bewohner:innen Wohlstand. Seine fremden- und frauenfeindlichen Ansichten, unter dem Deckmantel eines Aufbruchs in eine bessere Zukunft, finden im Dorf viele Anhänger:innen. Das Drama basiert auf dem gleichnamigen Roman „Die Verzauberung“. Die erste Fassung des Buches entstand in Österreich in den 1930er Jahren. Sie diente als Grundlage für die Bühnenfassung, die letztes Jahr erstellt und im Juli uraufgeführt wurde. Insgesamt viermal spielte das Ensemble das Stück. Die Studierenden kommen größtenteils aus der medizinischen Fakultät, denn dort ist das Projekt ein eingetragener Kurs. Doch auch Studierende aus anderen Fakultäten können sich die Teilnahme an dem Projekt anrechnen lassen und stehen auf der Bühne.
Hinter den Kulissen
„Dinge zu hinterfragen, Kommandos immer mal so ein bisschen hinterfragen und so sich ein eigenes Bild schaffen und nicht direkt jemandem folgen, der dir Dinge erzählt, die du gerne hören möchtest“ laut Laura Kotulla ist das, was alle aus dem Stück mitnehmen sollten. Nahezu in allen Szenen steht sie mit auf der Bühne. Mit ihrer großen Bühnenpräsenz kann sie die Zuschauer:innen immer wieder abholen. David Stöckmann wünscht sich, dass man die Geschehnisse aus dem Stück mit der Realität in Verbindung setzt und kritisch reflektiert. „Ich freue mich, wenn das Publikum aus dem Stück geht und sich ärgert, dass die Bösen gewonnen haben“, sagt er.

Alle vier Aufführungen hätten ihre Besonderheiten gehabt. „Die Aufführung dazwischen, da muss man immer so ein bisschen Kraft hineinstecken, bei der Premiere ist man aufgeregt, bei der Dernière muss alles klappen. Sonntag war ja ohnehin aufregend, denn uns wurde Lichtpult und Spot gestohlen", berichtet David Stöckmann. „Wir sind alle angekommen und plötzlich hieß es, das Lichtpult ist weg. Da wussten wir auch erstmal gar nicht, ob wir jetzt irgendwie weiter aufführen sollen“, so Laura Kotulla. Für die Inszenierung ist das Licht sehr bedeutend, fast jede Szene macht von der bunten Lichtkulisse Gebrauch. Deswegen sind alle sehr beeindruckt und dankbar, dass das Lichtteam mit großem Einsatz manuell das Licht einstellen konnte. „Ich glaube, das hat alle noch mal so richtig zusammengeschweißt“, sagt David.
Der Student Arthur Haltrich ist schon von Anfang an bei dem Projekt dabei und hat bis jetzt in allen Produktionen des Ensembles mitgespielt. „Die Verzauberung“ ist bis jetzt sein Favorit. „Entrückt vielleicht“, so fühlt er sich, wenn er Ratti verkörpert. „Er ist so raus aus der ganzen Realität und aus allem, was gut ist, dass man fast schon dissoziieren muss, um wirklich diese Düsterkeit, die da so hinter seinen Augen schlummert, darzustellen“, sagt er.


Die Inszenierung
Ein Highlight des Stückes ist eine Szene in der zweiten Hälfte. Dort wird ein Volksfest gezeigt, bei dem der Massenwahnsinn im Dorf endgültig eskaliert und schließlich in Gewalt gipfelt. Inszeniert wird das als wilder Tanz mit lauter Musik und dunklerem, bedrohlichem Licht. Es wirkt fast wie ein Moshpit – aber ohne den Spaß. Der Erzähler und die Doktorin durchbrechen immer wieder die vierte Wand, also sprechen das Publikum direkt an. So kann man dem komplexen Geschehen gut folgen. Häufig sind starke Parallelen zu der Machtübergabe an die Nationalsozialist:innen zuerkennen. Die Dorfbewohner:innen folgen Ratti bald bedingungslos, in der Hoffnung auf eine Rückkehr in eine goldreiche Zeit. Ratti inszeniert sich als „vom Berg auserwählt“ und als neuen Anführer des Dorfes.

Immer wieder behauptet er, dass er Anweisungen vom Berg hören kann. Um die Dorfgemeinschaft zu stärken, schürt er Hass gegen Einzelne und predigt seine Ideologien. Besonders im Entstehungskontext des Romans, der Vorlage des Stückes, lassen sich, neben dem allgemeinen „Führerprinzip“ und Fremdenhass, auch einzelne Handlungsstränge, wie die Gründung einer militanten Gruppe, mit der Militarisierung und Radikalisierung von Gruppen im NS-Regime vergleichen. So illustriert das Theaterstück eindrucksvoll, was geschieht, wenn Personen wie die Doktorin abwarten und trotz der Verbreitung von klar hasserfülltem Gedankengut zu spät einschreiten. Das Stück endet damit, dass Ratti gewinnt und dies immer mehr Opfer fordert. Die schauspielerische Leistung des Ensembles verdeutlicht die toxischen Gruppendynamiken und den Geschlechterkampf auf der Bühne und kann das Publikum damit verzaubern.
Der Weg auf die Bühne
„Macht unbedingt mit“, rät Laura Kotulla. Sie glaubt: „Das Theater würde von jedem profitieren, der Lust hat dabei zu sein“. Zum nächsten Semester würden einige das Ensemble verlassen, deswegen werden neue Leute gesucht. Auch für „die Verzauberung“ standen einige neue Gesichter auf der Hörsaalbühne. Die Aufführungen schließen sich direkt an die Vorlesungszeit an, weswegen die letzte Woche vor der Premiere bei manchen in die Prüfungsphase fällt. In dieser Woche probt das Ensemble jeden Tag. Trotz der extra Anstrengung lohne es sich, da das Ensemble in dieser Woche näher zusammenwachse, meint David Stöckmann. Neben den kreativen Möglichkeiten kann es einen auch im Studienverlauf weiterbringen. Denn das Engagement in dem Ensemble „Heinrichs Dorftheater“ kann als Wahlpflichtfach oder über Studium Universale angerechnet werden. Auch im Hinblick auf das Medizinstudium kann das Theater spielen helfen, findet Arthur Haltrich. „Wie man so steht, wie man verständlich redet, wie man auch mit der Körperhaltung eine Aura ausstrahlen kann, das sind definitiv Lektionen, die man hier sehr gut mitnehmen kann“, sagt er.
Neben interdisziplinärem Austausch und persönlicher Weiterentwicklung steht auch der Spaß im Vordergrund. Ab dem kommenden Semester beginnen die Vorbereitungen für die nächste Spielzeit und es kann wieder mitgespielt werden.
Redigat: jw

