Zum Hauptinhalt springen

Politik

Man sieht im Vordergrund ein kaputtes Fahrrad und ein heruntergekommenes grünes Gebäude im Hintergrund.
Dieser Ort hat sich in den letzten Monaten sehr verändert. (Foto: Bohdana Nechai)

Wie Ukrainer:innen in Kriegszeiten überleben

Ein Beitrag von Olesja Wecker

Auf dieser Seite

Vollgepackte Züge, zerbombte Straßen, Stau ohne Ende – die Menschen verlassen die Ukraine so schnell wie möglich. Doch was ist mit den Menschen, die nicht so einfach fliehen konnten? So sahen die ersten Wochen nach Kriegsbeginn für Ukrainer:innen aus, die nicht fliehen konnten.

 

Ukrainische U-Bahnstationen: Die Menschen haben Angst, die Nahrung wird knapp

28-jährige Oksana K. suchte zusammen mit ihrer Mutter und ihrer 7-jährigen Tochter Schutz in einer U-Bahn-Station in Charkiw. Eine Stadt, die tagelang vom russischen Militär bombardiert wurde. Dadurch gingen der Familie nach einer Weile die Lebensmittel aus, aber Oksana hat Angst, die U-Bahn-Station zu verlassen. Zuvor machten sich eine Mutter und ein Vater auf den Weg, Lebensmittel für ihre Kinder zu beschaffen. Sie kamen nicht mehr zurück, denn sie wurden von Bomben getroffen. Ihre Kinder sind jetzt Waisen. Der öffentliche Transport ist nicht mehr intakt, Taxis fahren auch nicht. Um zu einem Evakuationszug zu gelangen, müssten die Menschen in der U-Bahn-Station, inklusive Oksana und ihrer Familie, 3 Stunden unter Beschuss zum Bahnhof laufen. Und davor haben sie panische Angst.

Besondere Herausforderung: Menschen mit Behinderung auf der Flucht

Für Menschen mit einer Behinderung ist die Situation in der Ukraine besonders schwierig. Das Land ist ohnehin nicht besonders barrierefrei und in Kriegszeiten haben Betroffene erst recht wenig Möglichkeit sich selbst zu helfen. So auch der 35-jährige Oleksandr O. aus Charkiw, der aufgrund einer Lähmung im Rollstuhl sitzt. Oleksandr lebt mit seiner Mutter in einem Hochhaus in einer Stadt, die in den ersten Wochen des Krieges durchgehend unter Beschuss stand. Keine Stadt in der Ukraine wurde so sehr bombardiert, wie Charkiw und die meisten Menschen haben in Videos und auf Bildern gesehen, was nach so einem Angriff übrigbleibt. Aus diesem Grund ziehten sich die meisten Ukrainer:innen in Keller und U-Bahnhöfe zurück, die einzigen Orte, die wirklichen Schutz bieten. Oleksandr und seine Mutter hatten jedoch keine Möglichkeit Schutz zu suchen, denn für den 35-jährigen gab es keine Möglichkeit in den Keller zu gelangen. Seine Mutter kann ihm aufgrund ihres Alters nur bedingt helfen. Beide mussten eine Woche in ihrer Wohnung bleiben und auf Hilfe warten, bevor Freiwillige kamen und Oleksandr halfen aus der Wohnung zu kommen, um einen Zug nach Lviv zu nehmen. Von dort aus unterstützen ihn Freunde in einen weiteren Evakuationszug zu kommen, der nach Krakau, Polen, fährt.

Der Krieg ist überall spürbar

Auch Ljudmyla R. und ihren zwei Töchtern gingen nach einer Weile die Lebensmittel aus. Sie wohnen in einer kleinen Stadt, die nicht so unter Beschuss steht wie die Großstädte, über die in den Medien berichtet wird. Dennoch versetzten auch dort Sirenen seit Wochen die Zivilbevölkerung in Alarmbereitschaft. Ljudmyla und ihre Familie suchten deshalb Schutz in ihrem Keller, wo sie versuchte, ihre verängstigten Kinder zu beruhigen. Nach ein paar Tagen beschloss sie zu einem Supermarkt zu gehen, um etwas zu Essen zu kaufen. Dort angekommen musste sie feststellen, dass es nichts mehr gab, was man kaufen könnte. Kein Wasser, keine Grundnahrungsmittel. Nur eine verwelkte Kiwi und eine schrumpelige Avocado lagen noch auf den ansonsten leeren Regalen des Supermarktes. Als ein Sirenenalarm ertönte, suchte Ljudmyla Schutz in einer Kirche, bis sie in Begleitung von Gläubigen nach Hause gebracht wurde.

Ищи своих („Suche deine Leute“)

Die meisten verstorbenen russischen Soldaten werden zurückgelassen und von den Ukrainer:innen in Leichenhallen gebracht. Dort versucht man ihre Identität zu bestimmen. Dokumente werden fotografiert, aber auch Tattoos und weitere Merkmale, die helfen könnten, die Person zu identifizieren. Das ist vor allem notwendig, wenn der Mensch aufgrund seiner Verletzungen nicht wiederzuerkennen ist. Diese Bilder und Informationen werden auf dem Telegram-Kanal Ищи своих („Suche deine Leute“) hochgeladen. Viele Russ:innen, aber auch Ukrainer:innen greifen auf die Informationen, die auf diesem Kanal zur Verfügung gestellt werden, zu. Der Notruf, über den man Informationen über die gefallenen Soldaten bekommen kann, wurde in Russland gesperrt. Ein Großteil der verstorbenen Soldaten ist zwischen 18 und 22 Jahre alt. Die Bilder und Videos, die man auf dem Kanal findet, erscheinen surreal. Verstümmelte Leichen. Soldaten, die in Gräben liegen. Menschen, die ihr Leben für einen sinnlosen Krieg lassen mussten. Gefangene Soldaten werden von den Ukrainer:innen behandelt und medizinisch versorgt. Sie dürfen ihre Verwandten in Russland kontaktieren, um diesen zu zeigen, dass sie noch am Leben sind. Viele russische Soldaten behaupten, dass sie nicht wussten, dass sie die Ukraine angreifen werden. Ihnen wurde gesagt, dass sie zu Ausbildungszwecken einberufen werden.