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Politik

Ein Instagram-Chatverlauf (Foto: Giulia Baran)

Wie junge Politiker:innen im Netz zu Hassfiguren werden

Ein Gastbeitrag von Giulia Baran

Auf dieser Seite

Social Media ist für die Politik längst unverzichtbar: Hier lassen sich junge Menschen direkt erreichen, es werden Debatten angestoßen und Inhalte platziert. Es war noch nie so leicht, mit Bürger:innen direkt in Kontakt zu treten. Für junge Politiker:innen sind das enorme Chancen: Reichweite, Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit auch außerhalb klassischer Medien.

Doch die Chancen haben eine dunkle Kehrseite. Was als Plattform für Austausch gedacht ist, wird oft zur Bühne für Beleidigungen und Hetze. Viele ziehen sich deshalb zurück oder posten nur noch sehr vorsichtig. Am Ende bleibt die Frage: Weitermachen und sich dem Hate stellen – oder lieber schweigen, um sich selbst zu schützen?

Wer Position bezieht, wird nicht nur diskutiert, sondern schnell auch Ziel von Spott, Beleidigungen oder Drohungen. Besonders junge Politiker:innen am Anfang ihrer Laufbahn spüren den Hass im Netz ungefiltert. Zwischen berechtigter Kritik und destruktiven Angriffen ist alles dabei.

Studien zeigen das Ausmaß

Dass es sich nicht um Einzelfälle handelt, belegen Studien. Eine Untersuchung des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz („Lauter Hass – leiser Rückzug“) macht deutlich, wie stark digitale Angriffe das Verhalten verändern. 57 Prozent der Befragten geben an, ihre politische Meinung aus Angst seltener zu äußern. Mehr als die Hälfte beteiligt sich weniger an Diskussionen oder formuliert Beiträge vorsichtiger. Der öffentliche Diskurs verarmt dadurch – nicht, weil es an Meinungen fehlt, sondern weil sich viele nicht mehr trauen, sie zu äußern.

Eine weitere Studie der Technischen Universität München in Kooperation mit HateAid (2024) zeigt, dass besonders politisch Aktive betroffen sind. 58 Prozent von ihnen berichten von feindseligen Online-Angriffen. Dabei steht häufig nicht die inhaltliche Auseinandersetzung im Vordergrund, sondern das gezielte Bloßstellen der Person.

Das Ziel: einschüchtern, mundtot machen, Engagement bremsen. Gerade für junge Menschen, die ihre ersten Schritte in der Politik machen, kann das verheerend sein.

Wenn Kritik zu Hass wird

Wie sich das konkret anfühlt, schildert der 21-jährige Maximilian Erdmann. Er ist Spitzenkandidat der Linken in Ratingen und mittlerweile Ratsmitglied.

„Schreibe ich beispielsweise über meinen Unmut über die Kürzungen am Bürgergeld, werde ich schnell als Idiot abgestempelt. Besonders beim Thema Israel-Palästina werde ich aufgrund meiner Palästina-Solidarität zu Unrecht als Antisemit beschimpft.“

Diese Vorwürfe, die an seiner Person und nicht an seinen Argumenten ansetzen, machen es schwer, überhaupt noch öffentlich Position zu beziehen. Erdmann erzählt, dass er zunächst versucht habe, auf solche Nachrichten zu antworten und argumentativ gegenzuhalten. Doch oft stoße er auf taube Ohren. „Je öfter das passiert, desto mehr tendiere ich dazu, nichts mehr zu schreiben und zu posten“, sagt er. Sein politisches Engagement im Netz habe dadurch „klare Schäden“ genommen – auch wenn er im echten Leben weiterhin aktiv bleibt. Der digitale Rückzug ist für ihn der einzig logische Schritt:

„Es ist verschwendete Energie, die am Ende nur die eigene Gesundheit tötet.“ 

Anna Isljami teilt ähnliche Erfahrungen. Sie ist 25 Jahre alt, bei den Jusos und der SPD in Haan aktiv.  Das Ratsmitglied reagiert möglichst gleichgültig auf Angriffe: „Menschen, die einen auf Social Media haten, nutzen die Anonymität, um ihre Meinung ohne Verantwortung kundzutun.“ Für sie sei es verschwendete Energie, sich darüber aufzuregen oder gar die eigene Motivation darunter leiden zu lassen. „Solche Menschen hat es schon immer gegeben und wird es immer geben.“ Ihr Ansatz: Gelassen bleiben, sich auf das Wesentliche konzentrieren und die eigene Stimme nicht durch Fremde bestimmen lassen.

Beide Beispiele verdeutlichen: Junge Politiker:innen entwickeln unterschiedliche Strategien im Umgang mit Hass. Manche ziehen sich zurück, andere ignorieren und wieder andere stellen sich dem Hate offensiv entgegen. Keine dieser Strategien schützt jedoch vollständig. Denn die psychische Belastung, permanent im Kreuzfeuer von Diffamierungen zu stehen, bleibt.

Folgen für die Demokratie

Die Gefahr liegt nicht nur im individuellen Leid, sondern auch im Schaden für die Debattenkultur. Wenn viele ihre Meinung seltener äußern, verengt sich das öffentliche Spektrum. Social Media droht, ein Ort zu werden, an dem nicht die besten Argumente, sondern die lautesten Angriffe dominieren. Für Jugendliche und junge Erwachsene wirkt das abschreckend und hemmt politisches Engagement.

Die Frage „Engagieren oder Schweigen?“ muss daher gesamtgesellschaftlich beantwortet werden. Politik, Plattformen und Gesellschaft sollten Rahmenbedingungen schaffen, die Meinungsfreiheit schützen und digitale Gewalt eindämmen – durch wirksame Melde- und Löschmechanismen, Unterstützung für Betroffene und klare Solidarität. Hass ist keine Begleiterscheinung, sondern eine reale Bedrohung für politische Beteiligung.

Eins ist nämlich klar: Social Media wird die Politik nicht verlassen. Umso wichtiger ist es, Wege zu finden, wie Engagement dort nicht zum Risiko, sondern zur Chance wird – für die Demokratie und junge Menschen, die sie gestalten.