Zum Hauptinhalt springen

Panorama

Man sieht den Skatepark unter blauem Himmel mit ca. 20 Personen, vor der Kamera übt ein Jugendlicher einen Trick auf seinem Board.
Im Skatepark von Asira wird fleißig geübt. (Foto: Jörg Graef)

Freiheit durch Skateboarding: Entwicklungsarbeit in Nahost

Ein Beitrag von Leon Iselt

Auf dieser Seite

In der palästinensischen Westbank versuchen freiwillige Helfer, eine Skateszene zu etablieren. Der Kölner Jörg Graef erlebt dabei, wie der Freestyle-Sport in der besonderen Region aufgenommen wird.

Wenn sich die brennende Mittagshitze in Asira legt, beginnt für Jörg Graef die Arbeit im betonierten Skatepark, die er selbst eigentlich gar nicht als Arbeit begreift. Er schließt den kleinen Schuppen auf und holt die ungefähr zwanzig Skateboards heraus, die aus gespendeten Einzelteilen zusammengebaut wurden. In den dann folgenden Stunden füllt sich der Park mit jungen Menschen – an Freitagen sind es manchmal über einhundert. Ein buntes Treiben, in dem ein einziges Thema im Mittelpunkt steht: Skaten. Gemeinsam mit den anderen Freiwilligen steht Jörg jetzt als Ansprechpartner zur Verfügung, wenn es Fragen gibt: Wie schaffe ich einen Drop-In? Kann man die Achsen fester ziehen? Oder schlicht: Kann ich auch mal ein Board ausprobieren? Die soziale Vernetzung, die so entsteht, ist das Ziel der freiwilligen Arbeit. Für den 25-jährigen Jörg ist das eine völlig natürliche Art der Kommunikation, denn das Skateboard fahren ist schon lange ein wichtiger Teil seines Lebens.

Grundstein für Subkulturen

Für den freien Sport Skateboarding gibt es selbst in Deutschland kaum Vereine oder Grundkurse im Hochschulsport, was dazu führt, dass die Tricks und Techniken fast ausschließlich autodidaktisch oder im Austausch mit anderen Skater:innen erlernt werden können. Deswegen ist die Basis für regionale Skateboarding-Freizeitangebote immer eine zugehörige, florierende Subkultur – so auch in Palästina. Durch den lokalen Einsatz von erfahrenen Sportlern wie Jörg versucht die NGO Skatepal dort genau dafür den Grundstein zu legen - ohne feste Trainingszeiten oder strukturierte Kurse.

Seit nun fast zehn Jahren läuft das Projekt in der Westbank, dem sichereren und friedlicheren Teil der palästinensischen Gebiete Israels. Der Brite Charlie Davis gründete Skatepal, nachdem er auf einer Palästina-Reise unter den Einheimischen ein großes Interesse an seinem mitgebrachten Skateboard festgestellt hatte. Die Organisation selbst errichtete später den Skatepark im Dorf Asira, wo nun auch Jörg Graef mit Freiwilligen aus der ganzen Welt einen Monat lang arbeitet. Der zweite Wirkungsort der NGO befindet sich unweit in der etwas größeren Stadt Ramallah. Der im Durchschnitt sehr jungen Bevölkerung in dieser Region mangelt es an kulturellem Angebot und Sportmöglichkeiten. Dies wird dadurch verstärkt, dass der Nahostkonflikt und die systemischen Bedingungen für die Palästinenser:innen auf israelischem Staatsgebiet die Schaffung von gesellschaftlichen Strukturen stark erschweren. Obwohl die NGO diesem Problem entgegenwirken möchte, versteht sie sich nicht als politische Organisation. Im Mittelpunkt steht nur die Freude am Skaten. Das langfristige Ziel von Skatepal ist dennoch, die geschaffenen Strukturen an die einheimischen Palästinenser:innen zu übergeben. Die jungen Skater:innen aus der Region sollen ihr Wissen an andere weitergeben, so dass die Hilfe der westlichen Volunteers mit der Zeit überflüssig wird. Auch Jörg sieht in dieser Perspektive die Zukunft für das Projekt:

"Das heißt für mich Entwicklungshilfe, immer mit der Intention, dass es ein Selbstläufer wird."

Er ist in diesem Punkt optimistisch. Schon jetzt würden so viele Einheimische Verantwortung übernehmen und ihn bei seiner Arbeit unterstützen, dass die autonome Organisation in greifbarer Nähe sei.

Integration oder kulturelle Reibungen?

Zwischen dem alltäglichen Trubel im Park von Asira markiert jeder Mittwoch eine Besonderheit: Es ist Girls Day. Auch in vielen privat oder gemeinnützig verwalteten Skateparks- und Hallen in Deutschland gibt es einmal in der Woche diese Ausnahmeregel, gemäß der nur weibliche Sportlerinnen auf der Fläche zugelassen sind. Dabei wird versucht, den Mädchen und Frauen in der Skateszene die Möglichkeit zu geben, sich untereinander zu vernetzen oder mit weniger sozialen Hemmungen einen Einstieg in den Sport zu finden. In Asira bedeutet das außerdem, dass sich auch Jörg und die anderen männlichen Freiwilligen mittwochs eher zurückhalten und den weiblichen Kolleginnen den Vortritt lassen. Jörg erklärt allerdings, dass die Genderfrage bei seiner Arbeit trotz der konservativ-religiösen Prägung der Region tatsächlich nur eine sehr kleine Rolle spielen würde. Es seien sogar oft mehr Mädchen als Jungs im Skatepark, um auszuprobieren oder zu üben. Das liege an dem modernen Charakter des Skateboardings, der sei zu frisch für ein Schubladendenken. Jörg sagt:

 "Es gab nie diese Idee, dass Skaten eine Männer- oder Frauensportart ist."

 Auch das westliche Klischee von einer Verbindung zwischen Skaten und Drogenkonsum oder anderer Kriminalität sei im Westjordanland selten ein Thema. Das liegt aber auch schlicht daran, dass die Toleranz für Rauschmittel in der Region durch die muslimische Religiosität so niedrig ist, dass der Konsum im Alltag keine Rolle spielt. Jörg beschreibt kulturelle Reibungspunkte mit den Einheimischen nur dann, wenn bei den für territoriale Vereinnahmung sensibilisierten Palästinenser:innen ein Gefühl von westlicher Aneignung entsteht. So käme es besonders mittwochs häufiger zu kleinen Auseinandersetzungen mit Eltern, die am Girls Day auch ihre Söhne zum Skaten vorbeibringen wollten. Schnell werde dann so argumentiert: „Was maßt Ihr Fremden euch eigentlich an, unseren Skatepark zu sperren?“ Jörgs Job ist es dann, zu schlichten und zu erklären, was es mit der Maßnahme auf sich hat.

Das tut er gern, denn für ihn kommt es bei dem Projekt ohnehin nicht darauf an, den Skatepark in Asira zu verwalten oder zu kontrollieren. Vielmehr geht es um eine Ermächtigung der einheimischen Kinder und Jugendlichen. Jörg ist sich sicher, dass das Skaten den einzelnen Menschen in einer Region wie hier - ohne essenzielle Freiheitsrechte und den Schutz des privaten Raumes - eine gewisse Freiheit zurückgeben kann. Er erklärt: „Beim Skaten bist du so selbstbestimmt. Wo, wann und wie ist dir überlassen. Und das in einem Gebiet, wo die Palästinenser:innen kein Wahlrecht genießen. Das Skateprojekt gibt Eigenbestimmung. Das ist es, was Skateboarding ausmacht.“