Kultur

Zwischen Tradition und Zukunft
Ein Gastbeitrag von Luana Maria Esser
Sommerzeit ist nämlich Kirmeszeit in Nordrhein-Westfalen – und damit Hochsaison für Schausteller:innen. Ob Düsseldorfer Rheinkirmes oder Dürener Annakirmes: Millionen Besucher:innen strömen jedes Jahr auf die großen Volksfeste des Landes. Was die wenigsten ahnen: Hinter der bunten Fassade steckt harte, präzise organisierte Arbeit.

Von Generation zu Generation
Berti Cremer, 21 Jahre alt und Schausteller in siebter Generation, gewährt Einblicke in das Leben seiner reisenden Familie. Berti ist 21 Jahre alt und schon in siebter Generation Schausteller. Seine Eltern Hans Bert und Fränzi, seine Großeltern Annelie und Heinz, seine Tante Anja und seine Schwester Celina sind alle aktiv auf der Reise. Vier Generationen der Familie Cremer sind also auf den Volksfesten in NRW unterwegs. Hans Bert Cremer reist mit einem Karussell, das die Familie Ende der 80er selbst gebaut und bemalt hat. Celina Cremer hingegen ist auf der Reise mit einem modernen, neu gebauten Verkaufswagen mit Süßwaren. Hieran erkennt man die Besonderheit der Schaustellerei. Neben neuen, modernen Betrieben, die immer höher, schneller und spektakulärer werden, finden auch traditionelle und teils historische Geschäfte ihren Platz. So entsteht das charakteristische Bild der Kirmes.
Herzschlag Kirmes
Schausteller:in sein ist mehr als ein Beruf, Schausteller:in sein ist eine Berufung. Manche Schaustellerkinder entscheiden sich auch gegen ein Leben mit Camping und Kirmes. Doch für Berti war schon immer klar, welchen Weg er wählt. „Für mich stand schon immer fest, den Familienbetrieb irgendwann zu übernehmen. Während andere Kinder von einer Karriere als Fußballspieler träumten, wollte ich auch schon als kleiner Junge auf die Kirmesplätze mitfahren und in LKWs sitzen. Ich fand es schon immer toll, Schausteller zu sein. Man war in der Nähe seiner Freunde und hatte die Familie um sich herum. Es gab immer was zu tun und man konnte immer helfen.“ Das rege Kirmestreiben kann auch stressig werden, doch das bringt Berti nicht aus der Ruhe, denn die schönen Seiten des Schaustellerlebens, so erzählt er, überwiegen.
„Das Miteinander und die Arbeit mit meiner Familie war für mich immer das Schönste am Schausteller-Dasein.“
Unterwegs und trotzdem heimatverbunden
Auch wenn die Schausteller:innen durch das Land ziehen, bleibt die Heimat ein wichtiger Ankerpunkt. Familie Cremer kommt aus Rödingen nahe Düren. Daher sind es für die Cremers vor allem Städte wie Düren, Aachen und Düsseldorf, die Sicherheit und Heimat bedeuten. Doch auch kleinere Vororte, die den familiären Charakter der Kirmes ausmachen, sind wichtig. Es herrscht eine vertraute Atmosphäre, denn viele Besucher:innen kommen Jahr für Jahr zurück. Die Schausteller:innen sind fest im gesellschaftlichen Leben verwurzelt.
Kirmes als Ort der Begegnung
Volksfeste sind mehr als nur Rummel: Sie sind Orte der Begegnung. Familien mit Kindern, Jugendliche oder Senioren treffen aufeinander und verbringen eine schöne Zeit. Viele können dabei für manche Stunden ihren Alltagsstress vergessen. Besonders in digitalen Zeiten, in denen Begegnung vermehrt unpersönlich stattfindet, ist die Kirmes ein realer Treffpunkt, der Gemeinschaft stärkt. Die Kirmes heißt alle willkommen, unabhängig vom Geldbeutel. Auch wer nicht jede Fahrt oder jedes Glücksspiel mitmachen möchte, darf das bunte Treiben genießen und die besondere Atmosphäre auf sich wirken lassen.
Gewerbe unter Druck
Die Branche der Schausteller:innen wird im Alltag auch mit Problemen konfrontiert. Die steigenden Energiepreise, Mangel an Arbeitskräften und steigende Auflagen bei Themen wie Hygiene, Lebensmitteln oder Arbeitsschutz erschweren die Ausübung des Berufs. Besonders die Corona-Pandemie hat viele Existenzen zum Stillstand gebracht, da öffentliche Veranstaltungen, insbesondere Kirmessen, eingeschränkt worden sind.
Hinter der bunten Fassade
Wie sieht denn so ein normaler Tagesablauf eines Schaustellers aus? Berti Cremer erzählt: „Es gibt zwei verschiedene Arten von einem Tagesablauf. Einmal, wenn wir auf einer Kirmes mit unseren Geschäften geöffnet haben oder wenn wir gerade mal keinen Kirmesplatz haben. Wenn wir geöffnet haben, fahren wir zum Kirmesplatz und betreiben unser Karussell, ziehen den Vorhang auf und verkaufen Fahrchips. Diese sammeln wir dann wieder ein. Abends geht der Vorhang wieder zu. Wenn wir nicht unterwegs sind, werden meist Wartungsarbeiten erledigt. Das heißt, Glühbirnen auswechseln, die Hupen der Fahrgeschäft-Fahrzeuge reparieren oder Dinge neu streichen.“
Backstage auf der Düsseldorfer Rheinkirmes
Auf einer der größten Kirmessen in NRW, nämlich der Düsseldorfer Rheinkirmes, steht Anja Cremer mit ihrem Kinderfahrgeschäft „Balluna“. Im Jahre 1995 machte sich Anja mit der damaligen Neuheit „Balluna“ selbstständig. Ab 2001 bekam sie die Zusage in Düsseldorf. Seit 24 Jahren beschickt sie nun die Rheinkirmes. Gut eine Woche vor Veranstaltungsbeginn starten die Aufbauarbeiten. Ab dann steht Anja Cremer mit ihrem Wohnwagen direkt am Rheinufer. „Am meisten freue ich mich, wenn ich nach einem harten Arbeitstag auf den Rhein blicken kann.“ Auf die Frage, was die Rheinkirmes für sie ausmacht, antwortete Anja: „Nicht nur die hohen Besucherzahlen oder die Größe der Kirmes macht die Kirmes zu etwas Besonderem, sondern die einzigartige Atmosphäre, das muss man einfach mit eigenen Augen gesehen haben.“

