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Kultur

Redaktion:
Man sieht den leeren Zuschauerraum des Düsseldorfer Opernhauses.
Der Zuschauerraum des Düsseldorfer Opernhauses ist schon länger wie ausgestorben – die Angebote der Jungen Oper gehen trotzdem weiter.

Mit Liebesliedern gegen die Pandemie

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Die Corona-Pandemie schränkt viele Kulturschaffende stark ein. Davon sind auch die Mitarbeitenden der Jungen Oper in Düsseldorf betroffen - ein Besuch beim Workshop "Musiktheater im Labor".

Nach und nach ploppen vor ihr die kleinen Videos der Teilnehmenden auf. Katrin Sedlbauer ist Theaterregisseurin. Sie sitzt in ihrer Wohnung in Düsseldorf-Pempelfort. In dem Video ist hinter der brünetten, jungen Frau nur die weiße Wand und eine Dachschräge zu sehen. Sie wartet, bis alle Teilnehmenden ihr Video angeschaltet haben. Die sieben jungen Erwachsenen schauen teils erwartungsvoll, teils müde in ihre Kamera. Kurz später steht Katrin wie alle anderen vor ihrer Kamera und klopft sich ihren linken Arm ab, erst von oben, dann von unten und dann auch den rechten Arm. Wie vor dem Treffen abgesprochen macht ihre Kollegin Dina Wälter die Lockerungsübungen vor. Gemeinsam leiten sie den Workshop „Musiktheater im Labor“ an der Jungen Oper in Düsseldorf.

Eigentlich wollten Katrin und Dina wieder eine Oper aus der aktuellen Spielzeit mit den Teilnehmenden interpretieren und eine neue Perspektive schaffen. Wegen der Pandemie mussten sie das Konzept überarbeiten: Dieses Mal soll eine Filmcollage zu Liebesliedern entstehen, die sich aus vielen kleinen Performances zusammensetzt. Seit dem letzten Treffen haben die Teilnehmenden ihre Performances gepimpt. Heute wollen sie den aktuellen Stand präsentieren.

 

Der größte Unterschied ist, dass ich mich auf meinen Schreibtisch und meinen Laptop eingedampft fühle.

Von Kochen bis Halleluja

Als erstes ist Alicia dran. Sie teilt ihren Bildschirm und zeigt ein Video: Zwei erwachsene Personen kochen und essen zusammen, trinken Tee. Katrin fragt nach der Idee, die dahintersteckt. „Liebe geht durch den Magen – das sagt man doch so“, erzählt Alicia. Sie hat ihre Eltern im Alltag begleitet und zu ihrer Beziehung ein Musikvideo produziert. Nach und nach präsentieren die Teilnehmenden ihre Projekte: Birte spielt Gitarre, singt und rappt. Lena liest aus der Bibel vor und blendet dazu Leonard Cohens „Halleluja“ ein. Immer wieder fragt Katrin nach, hört geduldig zu, motiviert und gibt Tipps.

Für Katrin ist es heute die vierte Videokonferenz, unter anderem ein Foto-Workshop mit Jugendlichen und eine Besprechung mit ihrer Chefin standen im Kalender. Der sah vor der Pandemie anders aus: „Der größte Unterschied ist, dass ich mich auf meinen Schreibtisch und meinen Laptop eingedampft fühle.“ Vor der Pandemie war sie ständig mit Menschen unterwegs: „Da kannte ich weder Home noch Office.“ Die Arbeit am Schreibtisch trifft Katrin vor allem als darstellende Künstlerin: „Es ist ja unser Brot, eben nicht allein vor sich hinzuwurschteln, sondern gemeinsam zu wurschteln.“

Neue Räume für die Theaterarbeit

Das zeigt sich auch im Workshop, wo Falk als nächstes präsentiert: Er setzt sich an sein Klavier, spielt die ersten Akkorde und beginnt zu singen. Immer wieder der gleiche Refrain: „Mit dir will ich fliegen!“ Immer wieder, mal hoffnungsvoll, mal leidend. Mal hoch, mal noch höher. Immer weiter steigert sich Falk in die Liebesbekundung. Das letzte Mal der Refrain, dann die letzten Akkorde auf dem Klavier, dann ist es still, die anderen Teilnehmenden applaudieren lautlos. Katrin strahlt, sie zeigt ihre Begeisterung ganz offen. Schnell geht es aber auch wieder darum, die Performance zu pimpen: „Wenn du direkt in die Kamera schaust und uns adressierst, wird das noch stärker.“ Es sind diese neuen Möglichkeiten, die Katrin an der neuen Arbeitsweise schätzt: „Mit so einem Medium wie Video kann man auch total künstlerisch arbeiten.“ Im Theater ist so etwas wie der klassische Filmschnitt nicht möglich – die Theaterarbeit via Videokonferenz öffnet damit für Katrin neue Räume: „Natürlich hat man den Anspruch, dass es künstlerisch wertvoll bleibt trotz Schwierigkeiten.“

Die Schwierigkeiten sind manchmal auch ganz praktisch: Chiara hat endlich eine Position gefunden, in der ihr Smartphone in der richtigen Kameraposition stehen bleibt. Sie singt „Nur für mich“ aus dem Musical „Les Miserables“, ein Lied voller Liebeskummer. Gleichzeitig versucht sie als Konzentrationsübung mit Spielkarten ein Kartenhaus zu bauen. Immer wieder fallen die Karten zusammen. Jedes Mal blitzt ihr Ärger leicht hörbar in ihrer Stimme auf. Ihr emotionaler Gesang geht den Teilnehmenden ans Herz – auch Katrin: „Wir sind alle am Heulen! Ich würde dich gerade gerne in den Arm nehmen.“

Wenn man trotzdem so ausgehebelt wird, ist es schwierig, das nicht als Geringschätzung für die Kultur zu begreifen.

Kultur als Hilfe in der Krise

Es sind diese Momente, die Katrin meint, wenn ihr der unmittelbare Kontakt fehlt: „Es fehlt, dass man den anderen in Gänze erlebt, ohne dass ein Medium dazwischen ist – gerade in der Theaterarbeit, wo es um das Hier und Jetzt geht.“ Auch und besonders in einer Pandemie. Katrin ist überzeugt, dass die Kultur den Menschen helfen könnte, durch diese schwierige Zeit zu kommen. Gleichzeitig sieht sie die Theaterhäuser mit ihren Hygienekonzepten gut vorbereitet: „Wenn man trotzdem so ausgehebelt wird, ist es schwierig, das nicht als Geringschätzung für die Kultur zu begreifen.“ Premieren werden immer wieder verschoben, Projekte immer wieder umgeplant, die kreative Arbeit rückt in den Hintergrund. Das belastet Katrin: „Es ist wahnsinnig herausfordernd und wir müssen mal sehen, wie lange man das so durchhalten kann.“

Diese Belastungen sind im Workshop nicht zu spüren. „Ihr habt echt reingehauen. Hammer! Ich bin beeindruckt“, lobt Katrin und setzt dabei wieder ihr breites Grinsen auf. Bis zur nächsten Woche sollen sich die Teilnehmenden Gedanken machen, wie sie andere Teilnehmende einbinden können. Das ist die nächste Herausforderung für ihre Performances: Zusammen performen, obwohl sie nur digital verbunden sind. Aber bis zur Premiere sind noch vier Monate Zeit. „Habt einen ruhigen Abend“, sagt Katrin noch. Auch Dina verabschiedet sich. Nach und nach verschwinden die kleinen Videos der Teilnehmenden wieder.

Die Junge Oper am Rhein will die Angebote der Oper am Rhein auch für jüngere Menschen attraktiv machen. Dafür bieten sie besondere Inszenierungen und Workshops an. Im Moment müssen die Angebote digital stattfinden.

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