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Kultur

Man sieht ein schwarzes Plakat auf dem in weißen, verzerrten Buchstaben die Aufschrift „Futurhythmus“ steht. Über der Aufschrift sind mehrere Darstellungen von Tonwellen zu sehen.
Das offizielle Plakat zum Soundcinema Düsseldorf 2022.(Foto: Soundcinema Düsseldorf/Sonische Inteferrenzen e.V.)

Der Sound der Zukunft

Eine Reportage von Jonas Kneis

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Gute Geschichten zu erzählen ist ziemlich schwer. Noch schwerer wird es, wenn man auf Bilder oder sogar Worte verzichten muss. Wenn man dann auch noch Geschichten aus der Zukunft erzählen soll, wird es praktisch unmöglich. Das „Soundcinema Düsseldorf“ macht jedoch genau das – mit der Hilfe von Schlafmasken.

Plötzlich blickt man in eine andere Welt: nur eine Handvoll Schritte liegen zwischen dem Gewusel der gestressten Pendler am Düsseldorfer Hauptbahnhof und dem abgedunkelten Foyer des FFT, in dem einen die Klänge eines experimentellen DJ-Sets begrüßen. Durch die großen Fenster des Foyers fällt das Auge zurück auf den Bahnhofsvorplatz, über den man grad noch schritt . Die Musik untermalt die Sicht auf Anzugträger, die in Taxis steigen. Spätestens mit Einlass in den Saal kann man seine Augen jedoch getrost schließen, visuelle Reize zählen ab jetzt nicht mehr. Es geht nur noch um Klänge und Rhythmen. Noch ahnt das Publikum nicht, auf welche Reisen es an diesem Abend noch geschickt wird: vom Theatersaal in die Wüste, von der Müllhalde in die Großstadt der Zukunft.

Das Soundcinema Düsseldorf ist ein Recorded-Sound-Festival für experimentelle Musik und elektronische Klangkunst, welches jedes Jahr gemeinsam von Studierenden und Dozierenden der Medien- und Kulturwissenschaft an der HHU organisiert wird. Mit dem Soundcinema möchte man der experimentellen Musik eine Bühne geben, da sie sonst oft nur im privaten Raum stattfindet, so die Organisator:innen auf ihrer Website. Bereits zum zweiten Mal fand das Festival nun unter einem Themenschwerpunkt statt: dieses Jahr sollten die Künstler:innen unter dem Motto „Futurrythmus“ ihre Vorstellungen der Zukunft anhand elektronischer Klänge und Rhythmen vermitteln. Die drei besten Werke wurden von einer Fachjury ausgezeichnet.

Wir freuen uns, dass das Festival international wahrgenommen wird“ – Organisator:innen des Soundcinema

Insgesamt wurden über 70 Werke eingereicht: „wir freuen uns, dass das Festival international wahrgenommen wird“ kommentieren die Organisator:innen Einsendungen aus Ländern wie Italien oder dem Iran. Genauso stolz sind sie jedoch auch auf die neue Kooperation mit dem FFT, in dem das Soundcinema erstmals stattfand: „die großartige technische Ausstattung vor Ort ermöglicht uns völlig neue Spielräume, so können wir dem Publikum einen 360 Grad Sound bieten“ erklärt Maximilian Haberer, einer der Organisatoren des Abends. Zu guter Letzt betont er die gute Zusammenarbeit mit den Studierenden, ohne die das Festival nicht möglich gewesen wäre.

Hörspiele ohne Worte

Der Saal ist gut gefüllt, das Publikum besteht knapp zur Hälfte aus Studierenden, zudem sind viele Angehörige der Düsseldorfer Kulturfestivalszene anwesend. Um sich optimal auf die Musik konzentrieren zu können, werden Schlafmasken gereicht. Die vorgestellten Kompositionen kommen allesamt ohne Gesang aus – manche Stücke verzichten sogar komplett auf klassische Instrumente. Vielmehr sind sie wie Hörspiele ohne Worte. Die Klänge erzählen Geschichten bei denen nie ganz klar wird, worum es geht, auch wenn vor jedem der Stücke ein kurzer Begleittext vorgelesen wird. Im Saal herrscht dadurch stets eine gewisse Suspense.

360° Sound ermöglicht Reisenin andere Welten

Das erste Werk des Abends ist hierfür ein perfektes Beispiel: bereits die ersten Klänge wirken bedrohlich und lösen Stress aus, genau deswegen zieht es das Publikum in seinen Bann. Das Werk „Il nastro di Möbius“ des Elektro-Komponisten Marco Dibeltulu setzt sich mit dem Thema Recycling auseinander. Die Szene wirkt skurril : Menschen in schicker Abendrobe setzen sich Schlafmasken auf, um Müllpressen und Möwen auf der Suche nach Futter zu lauschen. Doch man selbst hat im Moment der Aufführung kein Auge für diese Skurrilität, denn das Kopfkino läuft auf Hochtouren – man wähnt sich sofort auf einer Mülldeponie an der sizilianischen Küste. Die nächsten Stücke schlagen eher sanfte Töne an: statt einer lauten Drohkulisse herrscht im Saal nun eine ruhige und abwartende Atmosphäre. Beim Stück LAM-01 von Jb Burguet bekommt man schnell das Gefühl durch leeren Weiten der nächtlichen Wüste zu streifen. Die Stücke entschleunigen sich selbst und das Publikum immer weiter, sie werden immer meditativer. Von der Mülldeponie zur Gruppenmeditation in nur 10 Minuten – dank der technischen Ausstattung im FFT entfalten die Kompositionen ihre volle Wirkung.

Die zweite Hälfte steht ganz im Zeichen des „Futurrhytmus“. Die Stücke sind nun alle wesentlich hektischer und lauter, sie wirken wie Szenen aus einer Großstadt der Zukunft, in der fliegende Autos an Wolkenkratzern vorbei schweben. Besonders beeindruckend ist die Komposition Exploration of Space von Paul Müller Reyes, der bereits bei mehreren Netflix-Produktionen mitgewirkt hat. Das letzte Stück des Abends überzeugt vor allem durch seine Komplexität, zahlreiche Ebenen von Rhythmen, Instrumenten und „Super-Saw“-Klängen arbeiten hier wie ein Uhrwerk zusammen. Durch mehrere Rhythmenwechsel entsteht ein Auf und Ab, das den Eindruck erweckt, dass hier gerade mehrere Geschichten zugleich erzählt werden – als wäre es keine einzelne Geschichte, sondern eine ganze Trilogie.

500 Euro pro Auszeichnung

Kurz darauf zieht sich die Jury zur Beratung zurück, währenddessen gibt es im Foyer ein DJ-Set und Getränke zur Überbrückung. Nach ausführlicher Beratung tritt die Jury ins Foyer und verkündet ihre Entscheidung: Marco Dibeltulu gewinnt in der Freien Kategorie, Paul Müller Reyes im „Futrrhythmus“ – der Publikumspreis geht mit knappen Vorsprung ebenfalls an Müller Reyes. Leider konnte keiner der Gewinner anwesend sein, um den mit je 500 Euro dotierten Preis entgegen zu nehmen. Gegen 0 Uhr verlassen die Besucher:innen das FFT. Draußen stehen sie wieder vorm Düsseldorfer Hauptbahnhof – zurück in einer anderen Welt.