Kultur
Die Atombombe als schrilles Kult Horror-Musical
Vor ziemlich genau 80 Jahren musste sich die Stadt Hiroshima in blutroter Tinte in die Geschichtsbücher eintragen. Wie abertausende andere Japaner:innen verlor auch der Regisseur Nobuhiko Obayashi an diesem Tag alles. Das Einzige, was er aus den Trümmern ziehen konnte, war sein Puls. In seiner Kult-Horrorkomödie Hausu zeigte er Jahrzehnte später, wie man aus einem tiefschwarzen Tag in der Menschheitsgeschichte, ein aberwitziges, aber dennoch prägnantes Meisterwerk über die Absurdität jener Gewalt schafft.
Nobuhiko Obayashi war gerade mal 7 Jahre alt, als ein apokalyptisches Inferno innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde die japanische Metropole Hiroshima – seine Heimat – verschlingt. Circa 80.000 Menschen starben in einem Wimpernschlag. Bis zum Ende des Jahres hatte sich die schwarze Zahl fast verdoppelt. Kein einziger von Nobuhikos engen Freunden wurden von dem Horror der Atombombe verschont.
Trotz dieses frühen Schicksalsschlages kämpfte sich Nobuhiko 11 Jahre später an die Hochschule. Er wollte Künstler werden. Jahrelange schaffte er kleine Experimentalfilme, ohne große Anerkennung für auch nur einen davon zu erhalten. Man muss wohl nicht allzu lange nachdenken, was für eine Art Kunst von jemanden mit einer derart düsteren Vergangenheit kreiert wird – Ist ja klar, völlig schrille, oft aberwitzige Fieberträume. Dass der Schlüssel zum langersehnten Erfolg darin liegt, diesen Stil auf die absolute Spitze zu treiben, sollte er im Jahr 1977 mit der Veröffentlichung seines ersten Spielfilms herausfinden.
Die Geldgeber von „Hausu“ heuerten Obayashi an, in der Hoffnung, den Erfolg des zwei Jahre vorher herausgekommenen „Der Weiße Hai“ in Japan zu rekreieren. In dem finalen Film merkt man davon gar nichts. Denn Obayashi scheint das Memo entweder nicht bekommen oder gar gekonnt ignoriert zu haben. Er selbst litt unter Writers Block. Sein Kopf brachte einfach nichts wahrlich Gruseliges hervor. Also machte er, was man halt so tut, wenn man keine Ideen für einen Horror-Film hat. Er fragte seine 10-jährige Tochter nach Rat. Obayashi selbst sagte zu diesem Prozess:
„Ich bespreche wichtige Angelegenheiten immer mit Kindern. Erwachsene können nur über Dinge nachdenken, die sie verstehen, sodass alles auf dieser langweiligen menschlichen Ebene bleibt. Aber Kinder können sich Dinge ausdenken, die sich nicht erklären lassen. Die Kraft des Kinos liegt nicht im Erklärbaren, sondern im Seltsamen und Unerklärlichen.“
Also hat man nun drei Inspirationsquellen. „Der Weiße Hai“, seine grausamen atomaren Traumata und die Ängste eines 10-jährigen Mädchens. Das Produkt daraus? Ein kompromisslos abgedrehter Kindheits-Albtraum, der wohl selbst den größten Film-Veteranen mit seiner energetischen Exzentrik schwindelig machen sollte. Der Film geht über das Teenage-Mädchen Gorgeous und ihren Freundinnen, die ihre etwas komische Tante auf dem Land besuchen. Sehr schnell nach ihrer Ankunft müssen sie allerdings feststellen, dass sowohl die Tante, ihr Haus und ihre garstige Katze in übernatürlich-mörderischer Stimmung sind. Die Handlung ist aber tatsächlich relativ irrelevant. Was Hausu zu einem Kult-Klassiker macht, ist seine strikte Hingabe dazu, konsistent das zu machen, was in jedem anderen Film die schlechteste Idee aller Zeiten wäre – und das ist als Kompliment gemeint. Die Absurdität des Filmes fängt bei den sehr wörtlichen Charakternamen schon an: Es gibt die Hauptcharakterin Gorgeous, welche von allen für ihre Schönheit bekannt ist. Dann gibt es noch ihre Freundinnen: zum Beispiel Prof, die schlaue; Kung Fu, welche Kung Fu kann und Mac, welche gerne isst. Innerhalb weniger als 90 Minuten verwandelt sich ein Charakter in eine Staude Bananen, ein weiterer Charakter wird von einem Klavier gefressen, eine wilde Gruppe an Matratzen frisst ebenfalls jemanden auf und natürlich wird auch eine Freundin in einer Uhr gefangen. Allgemein gibt es gemeingefährliche Möbelstücke wie Sand am Meer. Würde man alle völlig verrückten Sachen, die in diesem Film geschehen, auflisten, so könnte man sicherlich eine komplette DIN A4 Seite in allerkleinster Schrift voll bekommen. Hausu schafft es, ohne großen Aufwand so ziemlich jede einzelne Regel des Filme-Machens entweder zu missachten oder einfach gewollt zu brechen. Genau darin liegt auch die Magie des Filmes: Es ist eine urkomische, anarchisch-dissonante Symphonie aus völlig überspitzten Special Effects, surrealen Animationen und einem wahrlich einzigartigen visuellen Stil.
Wie man schnell erkennen kann, strahlen die Ängste von Obayashis kleiner Tochter durch jede Facette von „Hausu“, aber sollten nicht die Einflüsse rund um die Atombombe am hellsten strahlen? Die Tragödie von Hiroshima findet man eher implizit in den dunklen thematischen Ecken dieser schrillen Horror-Komödie. Denn die wohl beliebteste Interpretation von Hausu ist, dass diese surreale Fassade nur ein gutes Versteck für Obayashis schreiende Kindheitstraumata ist. Dieser sagte selbst einst, dass dieser schicksalshafte Tag, der sechste August 1945 - als ein Lichtkegel im Zentrum Hiroshimas menschliches Fleisch zum Brennen, und Mütter, Väter und Kinder in ganz Japan zum Aufschreien brachte – sein Künstlerherz entfacht hätte. Ein Künstlerherz mit der Mission, das Medium Film zu nutzen, um das Gefühl des plötzlichen, gewaltsamen Verlusts von ganzen Existenzen zu vermitteln. Schaut man sich den Film durch diese Linse an, macht das Sperrfeuer an Absurditäten in Hausu plötzlich ein bisschen mehr Sinn.
Auf das absolute Minimum reduziert, erzählt die Handlung die Geschichte einer Gruppe optimistischer Unschuldiger (Im Kontext des Zweiten Weltkriegs ist nicht Japans als Nation gemeint, sondern lediglich dessen Zivilbevölkerung), die aus dem Nichts in ein unerklärbares Labyrinth des Leides herein stolpert. Die böse Katze, die mit ihrem atomar-grün leuchtenden Augen Gorgeous und ihre Freunde heimsucht, scheint dabei auch ein Symbol für den vereinsamten Schmerz zu sein, der alles, was in seine Nähe kommt, verschlingt. Immerhin ist das biestige Fellknäuel, das Einzige, was der einsamen Tante geblieben ist, nachdem ihr Ehemann wegen der Atombombe ums Leben gekommen war. Auch wenn man in etwas spoiler-lastige Bereiche geht, gibt es gute Beweise für diese Theorie. So sterben im Film alle Freundinnen von Gorgeous, während sie selbst lebendig aus der Katastrophe herauskommt. Dies spiegelt Obayashis eigene Erfahrung mit der Atombombe wider, da dieser ebenfalls der einzige aus seinem Freundeskreis war, welcher die Tragödie überlebte.
Nobuhiko Obayashis Meisterwerk (und auch Erstlingswerk) war ein riesiger Hit in Japan. Vor allem Teenager:innen liebten die schrille Horror-Komödie. Auch wenn der Film viel Geld einspielte, waren die Produzenten gar nicht zufrieden. Sie fürchteten, dass der Erfolg von Hausu schlecht für seriöse, dramatische Filmproduktionen in Japan sein könnte. Leider konnten sie damals wohl nicht erkennen, dass Hausu zwar ein kunterbunter, absurder Fiebertraum auf der Oberfläche ist, aber gleichzeitig auf tieferer Ebene mit Bravour den unerklärbaren Schmerz einer ganzen Generation vermittelt.
Redigat: mf
