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Gebäude der Kunstakademie Düsseldorf
Das Gebäude der Kunstakademie in der Eiskellerstraße 1 gibt es seit 1879.

Kronkorken und verbrannte Gemälde: Der Winterrundgang

Ein Erfahrungsbericht von Laurenz Jäger

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An einem Mittwochmorgen Anfang Februar steige ich an der Haltestelle Tonhalle/Ehrenhof aus der U-Bahn. Im dichten Nebel, der über der Stadt hängt, erstreckt sich vor mir die Kunstakademie Düsseldorf. Für die nächsten Tage wird die Akademie ihre Türen für Besucher:innen öffnen und Arbeiten von Studierenden ab dem 3. Semester präsentieren. Es ist erstaunlich viel los für einen Mittwochmorgen. Bereits am Eingang tummeln sich die Leute. In dem Programmheft zum Rundgang findet sich ein Textausschnitt aus dem Essay „Strategien gegen die Kunst“ von Pulad Mohammadi. Darin heißt es unter anderem: Die Kunst „soll uns eben das geben, was wir noch nicht wissen. (…) Indem sie probiert, was keiner sonst probiert.“ Kann die diesjährige Winterausstellung der Kunstakademie diesem Anspruch gerecht werden? Ich will es herausfinden. 

Verbrannter Caravaggio

Wie auch bei meinen letzten Besuchen bin ich erst einmal erschlagen von der Architektur des Gebäudes. Die Decke im Flur ist gewaltig hoch und zwischen den weißen Rundbögen leuchten die kugelförmigen Lampen. Fasziniert von der Flucht, begebe ich mich in die ersten Räume im Erdgeschoss. Auch hier sind die Decken hoch. Durch die riesigen Fenster mit den weißen Rahmen scheint viel Tageslicht. Irgendwann bleibe ich vor zwei Gemälden stehen, die für mich als Kunst-Laie nach Gemälden aus dem späten Mittelalter aussehen. Damit stehen sie im Kontrast zu den bis hierhin eher abstrakten Bildern und Installationen. Die beiden Gemälde hängen übereinander und sind fast identisch bis auf den Unterschied, dass in der Mitte des unteren Bilds ein großes Loch klafft und der Rahmen verkohlt ist. Ein Blick auf die Beschreibung verrät mir, dass es sich hierbei um eine Nachstellung von Caravaggios „Matthäus und der Engel“ handelt. Diese ist 1945 in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges in einem Berliner Bunker verbrannt. Christian Behre ist der Künstler hinter der Arbeit. Er studiert im 13. Semester an der Kunstakademie und kam durch ein Seminar mit der Geschichte des Originalbilds in Kontakt. Diese hat ihn faszinierte, deswegen wollte er sie mit seiner Arbeit darstellen.

Getriebene Kronkorken

Eine Freundin von Christian, Emmanuelle Mazaud, präsentiert ihre Werke ebenfalls in diesem Raum. Sie studiert im 7. Semester und hat sich in ihrer Arbeit intensiv mit Kronkorken beschäftigt. Sie bearbeitete diese in einem Verfahren, das sich „Treiben“ nennt. Hierbei werden Metalle, in diesem Fall die Kronkorken, durch Schläge mit Meißel und Hammer verformt. Sie erklärt mir, dass es für diese Technik im Französischen zwei Wörter gibt: repoussé und chassé. Das Erste beschreibt das Verfahren von der Vorderseite des Metalls, das zweite das von der Rückseite. „Die Form kommt bei mir immer aus dem Material“, sagt Emmanuelle. „Dabei symbolisieren die Kronkorken für mich ein Spiel zwischen Innen und Außen. So bin ich darauf gekommen, aus den Kronkorken menschliche Körperöffnungen zu formen, die für mich auch dieses Spiel repräsentieren.“ Deswegen hängen dort an der Wand Kronkorken, die Mund und Nase formen, aber auch welche, die die Eichel eines Penis sowie den Eingang einer Vagina abbilden. Obwohl mir die Arbeit zuerst nicht aufgefallen war, kann ich mich nun doch für sie begeistern. Es scheint sich also zu lohnen, einen Blick in den Entstehungsprozess einer Arbeit zu werfen, um zu verstehen, was ein Werk so interessant macht.

Geschichte der Akademie

Geschichte der Akademie

Das Hauptgebäude der Kunstakademie in der Eiskellerstraße 1 wurde zwischen 1875 und 1879 im historischen Stil der italienischen Renaissance erbaut und gehört damit der Neo-Renaissance an. Ursprünglich wurde die Akademie aber schon 1773 gegründet und feierte dementsprechend vor zwei Jahren ihren 250sten Geburtstag. Sie ist eine der prestigeträchtigsten Akademien in Deutschland; Kunst-Größen wie Joseph Beuys und Gerhard Richter haben hier studiert und in den 60er und 70er-Jahren unterrichtet – eine Zeit, die als Hochphase der Akademie gilt. Heute unterrichten an der Akademie bekannte Künstler:innen aus zahlreichen Ländern und die Absolvent:innen sind repräsentativ für die internationale Kunstszene.

Türkise Gegenformate

Ich gehe weiter von Raum zu Raum. Erst durch die erste, dann durch die zweite Etage. Hier bleibe ich schließlich in einem Raum länger stehen, in welchem viele Gemälde hängen. Auffällig ist, dass sie durch Bilder, die ausschließlich mit türkiser Farbe bemalt sind, ergänzt werden. Diese türkisen Bilder sind teilweise an die Rahmen der eigentlichen Gemälde angedockt, sodass sich der Rahmen auflöst und ein neues Format entsteht. Am Eingang des Raums erfahre ich, dass dies die „annex“ Ausstellung der Klasse Scheibitz ist und dass zu dieser Ausstellung auch noch ein weiterer Raum in der ersten Etage gehört. Ich gehe also wieder runter. Als ich in den Ausstellungsraum in der ersten Etage eintreffe, stelle ich fest, dass hier die türkisen Bilder wiederum nicht an die eigentlichen Gemälde der Studierenden angedockt, sondern an der gegenüberliegenden Wand wie Spiegelbilder zu den eigentlichen Gemälden hängen. „Dadurch entsteht ein Zwischenraum, der neue Ideen bietet“, erklärt mir Fabian Hiller, Student im 14. Semester. Seine Kommilitonin Lucie Gozolka studiert im 15. Semester und hat ebenfalls diese Klasse besucht, die ihren Schwerpunkt auf Malerei gesetzt hat. „Wir haben versucht, jedem Gemälde ein Gegenformat zuzuordnen“, sagt sie. „Das Türkis sorgt dabei für einen starken Kontrast, da diese Farbe in den eigentlichen Gemälden kaum vorkommt.“ Die Idee ist, dass die Besucher:innen in einem Spannungsfeld aus dem Gemälde und seinem türkisen Gegenbild stehen und sich dazu positionieren müssen.

Licht und Schatten

Ich schlendere noch ein wenig durch die Gänge der Akademie, dann führt mich der Weg wieder nach draußen. Von den vielen Eindrücken überflutet bin ich froh, wieder frische Luft zu schnappen. Hat sich das Eingangsversprechen erfüllt? Ich bin mir noch nicht sicher. Einerseits empfand ich viele Arbeiten als unzugänglich, andererseits haben sie mir, je mehr ich mich mit ihnen beschäftigt habe, „etwas gegeben, was ich noch nicht wusste“, wie es Pulad Mohammadi im Eingangs zitierten Essay schreibt. Ich gehe zurück zur Haltestelle Tonhalle/Ehrenhof und werfe einen letzten Blick auf die Akademie. Eines ist sicher: Ich werde in den nächsten Tagen noch mal wiederkommen.