Kreatives

Der Spiegel
In der Horror-Kurzgeschichte „Der Spiegel“ entdeckt Simon, dass sein neuer, alter Spiegel ein Tor in eine unheimliche Parallelwelt ist. Fasziniert forscht er weiter – bis das Grauen ihn einholt.
Mein liebes Tagebuch, heute ist Freitag, das ist Tag#13, seitdem ich einen Vintage-Spiegel in einem seltsamen Second-Hand-Laden gekauft habe. Nach paar Tagen habe ich verstanden, dass das kein normaler Spiegel ist. Als ich in dem Laden diesen Spiegel gekauft habe, konnte ich mir nicht einmal vorstellen, dass es eine Tür zu einer anderen Welt sein wird. Die Tür ließ sich nur schwer öffnen, da der Griff sehr klein und schwer zu greifen war. Ich habe stattdessen meinen alten Türgriff installiert. In meinen vorherigen Notizen in diesem Tagebuch zu dem Spiegel, habe ich geschrieben, dass die Tür sich nur von einer Stelle in die parallele Welt öffnen lässt. Ich lag falsch. Man kann den Spiegel auch draußen an einem Baum gelehnt platzieren, und die Tür funktioniert immer noch. Die Spiegelung zeigt, wohin man hereingeht. Ich darf davon niemandem erzählen. Das kann sonst zu kompliziert werden. Ich habe mich krankgeschrieben und nun kann ich mich gründlich dem Spiegel widmen. Bevor ich ins Bett gehe, decke ich den Spiegel mit einer Decke ab. Sonst kann ich nicht aufhören, über die andere Welt nachzudenken.
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Mein liebes Tagebuch, heute ist Tag#14, seit ich angefangen habe, den Spiegel zu erforschen. Ich habe die parallele Welt schon mehrmals besucht. Heute bin ich aber sehr früh aufgewacht. Ich hatte einen komischen Traum – die Decke fiel von der oberen Ecke des Spiegels herab, und da war ein Auge. Es schaute mich an. Selbst meine Träume sind über diesen Spiegel. Mein paralleles Zuhause ist genau wie das Zuhause hier, außer einige Möbelstücke sind etwas anderes oder einige Räume sind leer und nicht möbliert. Das ist sehr seltsam. Aber ich freue mich darauf, dass ich jetzt doppelt so viel Platz habe, als vorher. Und überhaupt noch ein zweites Zuhause! Ich muss nämlich auch keine Rente oder so dafür zahlen. Vielleicht treffe ich mein paralleles Ich. Ich muss wirklich vorsichtig sein, wem ich das erzählen werde … falls überhaupt. Ich kann mich immer noch nicht daran gewöhnen, dass in der Parallelwelt alles gespiegelt ist. Die Treppen sind zum Beispiel nicht mehr auf der rechten Seite von meinem Schlafzimmer, sondern auf der linken Seite. Ich gehe jetzt zum zweiten Mal heute hin, um einige meiner Sachen, in meine parallele Wohnung herüberzubringen. Ich glaube, ich lasse meinen Spiegel jetzt in meinem Schlafzimmer stehen.
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Mein liebes Tagebuch, heute ist Tag#19, seitdem ich diesen Spiegel gefunden habe. Ich kann über nichts außer diesen Spiegel denken. Ich gehe jetzt nochmal in die andere Welt. Ich habe etwas Wichtiges bemerkt: Mein Handy und mein PC sind da nutzlos – kein Signal, kein WLAN und kein Bluetooth. Ich kann niemanden anrufen. Es funktioniert nur, wenn ich neben dem Spiegel stehe. Als ich Pizza bestellt habe, wurde sie nur in meiner Welt geliefert. Mein Handy ist also nur an eine Welt gebunden. Da ich quasi mitten in dem Wald wohne, brauche ich 20 Min mit dem Auto um das nächste bewohnte Gebiet zu erreichen. Gut, dass mein Auto auch in der Spiegel-Welt ist. So weit weg war ich von dem Spiegel noch nie. Ich schreibe meinen nächsten Satz, soweit ich zurück bin. Es gibt niemanden in dem Dorf. Es ist komplett verlassen. Der Strom ist aber da. Es ergibt keinen Sinn.
Notiz an mich selbst: Weniger im Parallelhaus schlafen. Ich habe schon wieder kurz vergessen, ob ich in der realen Welt oder der Spiegelwelt war, als ich meine Sachen herüberbringen wollte und aus Versehen Sachen aus der Spiegelwelt zurück in meine Welt hergebracht habe.
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Es ist Tag# 20. Ich habe etwas gesehen. Ich weiß nicht was, aber etwas hat sich bewegt und ich habe es gesehen. Ich habe gestern den ganzen Tag mein paralleles Zuhause untersucht, um sicher zu sein, dass niemand da ist. Aber ich bin mir sicher, dass sich etwas bewegt hat. Das war aber keine Katze oder Vogel oder was auch immer. Es sah wie eine Person aus. Jemand spähte um die Ecke der Küche hervor und ist einfach danach verschwunden. Es kann also keine Person gewesen sein. Ich bin mir nicht sicher, was ich gesehen habe. Ich gehe jetzt wieder rüber und mache alle Fenster und Türe zu. Vielleicht ist es nur Paranoia, aber ich möchte sicherstellen, dass niemand bei mir zu Hause ist. Der Spiegel macht mich langsam nervös.
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Ich habe es gesehen. Ich wollte die Treppe heruntergehen. Ich blicke nach unten und da steht es. Es starrte mich an. Es stand da einfach, und bewegte sich nicht. Es war dunkel, das einzige Licht kam aus dem Fenster hinter diesem Ding. Es hatte meine Kleidung an. Aber es war kein Mensch. Es starrte aber mich an. Ich habe noch nie solch schreckliche Augen gesehen. Der Gesichtsausdruck war unverständlich. Als ob jemand versuchen würde, sich als Mensch auszugeben. Es lugte mit seinen großen, verrückten Augen hinter der Ecke des Zimmers im Erdgeschoss hervor. Ich spürte, wie mir ein kalter Schweißtropfen die Achselhöhle hinunterlief. Ich bin sofort zurückgerannt und ich habe den Spiegel mit einer Hantel zerbrochen. Ich bin so froh, dass das Ding nicht hinter mir gelaufen ist. Dann habe ich den Spiegel noch mit einer Decke bedeckt und den Türgriff abgerissen. Jetzt bin ich in der Sicherheit. Ich werde aber heute kaum schlafen, und nur den Spiegel beobachten. Ich beruhige mich, während ich schreibe, aber mein Herz rast immer noch. Ich rufe jetzt meine Eltern an. Ich habe ihre Anrufe das letzte Tagen ignoriert. Komisch, mein Handy funktioniert nicht.
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Das ist nicht meine Welt. Ich habe den Spiegel von der parallel Seite zerbrochen. Das ist nicht meine Welt.
Redigat: mf
