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Campus

Redaktion:
Man sieht eine Band. Sie lehnen aneinander und tragen roten Pelz
Die TCHIK treten am Freitag auf. (Bild: Jonathan Gopfert)

Gefühle für Düsseldorf

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Die Band mit dem obszönen Namen und der langen Geschichte - The toten Crackhuren im Kofferraum in Düsseldorf.

„Jung, Talentlos Und Gecastet“ war der Titel ihres ersten Albums. Immerhin gecastet. Die „The toten Crackhuren im Kofferraum“ sind seit mehr als zehn Jahren als Band aktiv und das, was Punk in den 2000ern war. Seit ihrem langen Bestehen haben sich die unterschiedlichsten Anekdoten angesammelt. Nicht immer kamen sie gut an, was eine Punk Band auch nicht muss, oder vielmehr: nicht sollte. Über Linien treten sie seit der Gründung, die erste Linie haben sie wahrscheinlich schon mit ihrem Namen übertreten. Kurz nach der Gründung nutzen sie diesen Namen auch nur inoffiziell. Bis heute spielen sie aber mit erhobenem Haupt als Crackhuren und posieren in roten Plüsch auf dem Cover ihres letzten Albums „Gefühle“. In der langen Bandgeschichte spielen Fetischclubs, MySpace und „Hans Scheissi“ ein Rolle.

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Wilder Mix

Wie viele Crackhuren die Bühne betreten war lange vor Konzertantritt unklar. Anfangs variierte die Mitgliederzahl zwischen vier und 16 Mitgliedern. Aktive Mitglieder sind heute Lulu, die von unwohlgesonnen Exfreunden dem Namen Fuckface bekommen und behalten hat; Doreen K., die mit dem Bieberface auftritt; Ilay, die wie Madonna keinen Nachnamen braucht; und Kristeenager, die, wie alle Mitglieder, keine Teenagerin mehr ist. Die vier Sängerinnen wurden in den Vergangenheit von den verschiedensten Leuten auf der Bühne unterstützt. Eine ihre Tänzerinnen war Nura, die später als Teil des Rap-Duos SXTN bekannt wurde und heute als Solorapperin durch die Charts tanzt. Zu anderen ehemaligen Mitgliedern zählt die mutmaßliche Band-schwester von Lulu, Stehfanje Fuckface. Zu ihren eigenen Vorbildern zählten sie damals Hans-A-Plast, eine Deutschpunkband aus den 80ern und die Ätztussis, eine rein weiblich besetzte Deutschpunkband aus der selben Zeit. Ihre eigene Musik fassen sie unter das Label Elektropunk zusammen.

Der Geschichte der Band mangelt es keinesfalls an Tradition. 2005 haben sie sich gegründet und traten zuerst in Clubs, wie dem legendären Berliner Fetischclub KitKat, auf und spielten in verschiedenen besetzten Häusern der autonomen Szene. Nachdem sie sich früh von ihrem ersten Manager abgespaltet hatten, kamen sie über Myspace mit Archi Alert, in Kontakt, der ihnen weiterhalf und ihr neuer Manager wurde. Die ersten größeren Auftritte spielten sie als Vorband von KIZ. Als feministische Pop Punk Band machten es die Rapfans von KIZ den T.C.H.I.K., wie sie abgekürzt werden, bei der Tour im Jahr 2009 nicht immer leicht. Sie seien ausgebuht und mit Sachen beworfen worden. Für sie kein Grund aufzuhören, ganz im Gegenteil: 2010 folgt das erste Album „jung, talentlos und gecastet“. Gecastet bei dem Major Label Universal bei dem auch das Album erscheint. „Jung, talentlos aber dafür live“ lautet der Name ihrer ersten Solotour. Damals erregen sie erste Aufmerksamkeit in der bundesweiten Presse. „Die Welt ist noch nicht bereit für sie“, titelt die taz einen Artikel über sie. Verglichen werden sie damals mit Deichkind.

2011 veröffentlichen sie einen musikalisch untermalten Kurzfilm „Brandenburg 1“, der auf dem Kanal Aggropop TV, von ihrem Manager Archi Alert, erscheint. 2013 folgt ihr Album „Mama ich blute“, womit sie vermutlich heute noch Unruhe in Männerköpfen erzeugen können. Selbiges gilt für die „Warmbluten“-Tour 2013 zu eben jenem Album. Darauf kooperierten sie unter anderem mit der Punkgröße Bela B von den Ärzten. 2013 nahmen sie außerdem beim Bundesvision Song Contest für Sachsen teil, belegten aber nur den neunten Platz und konnten auch darüber hinaus keine großen Erfolge durch die Teilnahme erzielen.

Die bundesweite Erfolg der Crackhuren blieb damals aus. Bis heute sind sie in politisch linken Kreisen bekannt und konnten mit ihren nächsten Alben auch kommerziell gute Erfolge erzielen. Ihr Erfolgsrezept: Sie blieben sich treu.

Unentschuldigt und zurück

Sechs Jahre folgte kein weiteres Album, bis sie sich 2019 mit dem Album „Bitchlifecrisis“ zurückmeldeten. An politischer Linie verloren oder irgendwo eingebüßt haben sie nicht. In „Jobcenterfotzen“ geben sie ihre Probleme mit den Mitarbeiter:innen bei der Agentur für Arbeit zum Besten und bleiben unapologetisch direkt. Featuregäste waren Pöbel Mc und Juse Ju. Mittlerweile auch mit dem eigenem Label „Destiny Records & The TCHIK“ konnten sie das machen, womit sie schon 2005 gestartet hatten. Sie bleiben vulgär und nehmen eine Menge Raum ein, die der Mainstream Frauen so ungern gibt. Auch das Album wird noch im selben Jahr mit einer dazugehörigen Tour abgerundet.

Kurz danach geht es auch für sie in den Lockdown, in dem sie ihr neustes Album schreiben. „Gefühle“ heißt es und handelt genau davon. Denn die Pandemie ist auch an ihnen nicht spurlos vorbei gegangen und „dadurch, dass die Zeit so scheiße war, ist das Album auch ein bisschen depressiver geworden“, erzählt Lulu, in einem Interview. Auf der Single „Bau mir nen Schrank“ zum Album sind sie zusammen mit Blond, der deutschen Indieband, zu hören, wie sie die Geschlechterhierarchien umdrehen und Männer zum Arschwackeln aber auch zum Schrank bauen auffordern.

2023 startet ihre zweite Tour im Juni, wobei das Sommerkult gleich die zweite Station der Crackhuren ist, wie sie überall abgekürzt werden. Den Namen haben sie sich selbst ausgesucht, nur an die genaue Geschichte erinnern sie sich nicht. Es habe etwas „damit zu tun, dass wir Groupies einer Band waren, die sich Schrottgrenze nannte“. In einem Forum seien sie dann auf einen Kommentar von einem User namens „Hans Scheissi“ gestoßen: „Ich würde gerne eine Band gründen, die heißt, The toten Crackhuren im Kofferraum.“ - „Mach ich“ hieß es von Lulu daraufhin, die diesen Plan in die Tat umsetzte.

Dass die Band 2019 und 2021 mit ihren neuen Alben charten konnten ist kein Zufall. Sie sprechen seit 2005 das aus, was im Mainstream erst in den letzten Jahren ankommt. Laut.de nennt sie ein Anarchie-Konglomerat, sie selbst sich „Antifa-Zecken in Berlin“. Ihre politische Orientierung haben sie wohl seit den Auftritten in besetzten Häusern nicht verloren. „ACAB“, werfen sie in Interviews ein und treten beim 1. Mai in Nürnberg auf. Zusammen mit der Band Blond haben sie auch „Das Hörbuch der sexualisierten Gewalt“ aufgenommen, in dem eben diese thematisiert wird und dessen Erlöse an die Wildwasser e.V. gehen. Jene setzen sich für die Betroffenen sexualisierter Gewalt ein.

Außerdem haben sie Spenden an die Seebrücke und die Betroffenen im Syrienkrieg geschickt. Auch ihnen fehlt die Selbstironie nicht. In 10 Jahren, so sagten sie in einem Interview, werden sie die erste Ü40 Band sein, die ihren internationalen Durchbruch erst dann schafft und mit ihrer Musik Korea wieder vereinigt. Die T.C.H.I.K sind noch immer Punk, sie entschuldigen sich nicht dafür und sagen offen, was sie mögen und was nicht. Vulgärpunk mit Schimpfwörtern wirkt heute aus der Zeit gefallen, ist aber genau das Gegenteil, denn sie nehmen sich das raus, wofür männliche Punkbands seit Jahren gefeiert werden. Und das ganz ohne, dass ihnen der Ruf nacheilt, so sexuell übergriffig, wie ihre männlichen Kollegen aus der Szene zu sein.

Vom Fetischclub zur Vorband von KIZ über den Bundesvision Songcontest zu den Charts war es ein weiter Weg, auf dem die Band sich immer wieder behaupten musste. Gegen ein unliebsames Publikum kamen sie an, gegen die ökonomischen Zwänge der Musikbranche kamen sie an und in 10 Jahren werden wir sie, ihrer Prognose zufolge, in den USA, in Japan und dem wiedervereinigten Korea auftreten sehen.