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Ein Hörsaal wird zum Theater
An einem Freitagabend vermutet man Studierende an vielen Orten in Düsseldorf, aber ein Hörsaal zählt typischerweise nicht dazu. Doch an diesem Abend sind im Hörsaal 13B noch lange nach 20 Uhr die Lichter an. Der Saal ist erfüllt von Stimmen. Vor der grünen Tafel diskutieren zwei Studierende mit ausdrucksstarker Mimik und ausgefeilten Sätzen. Prof. Heiner Fangerau und Dr. Daniela Link sitzen währenddessen im Plenum und werfen von dort Anregungen und Tipps herein. „Macht ruhig viel!“, ruft Fangerau. Hier findet keine gewöhnliche Seminarstunde statt, sondern eine der besonderen Art, nämlich eine Theaterprobe von der Theatergruppe „Heinrichs Dorftheater“.
Das steckt dahinter
Seit fünf Jahren findet sich jedes Wintersemester eine Gruppe von Studierenden zusammen, die das Seminar „Theater und Medizin – Anatomie der Emotionen“ über das „Studium Universale“ belegen. In diesem Rahmen haben sich die Studierenden und ihre Dozierenden dieses Jahr an ein Großprojekt gewagt. Es sollte eine Geschichte auf die Bühne gebracht werden, die zuvor nur als Roman existierte. Geleitet von Heiner Fangerau und Daniela Link, die auch Regie bei dem Stück führen, entstand innerhalb von zwei Semestern das Stück „Die Verzauberung“. Am Samstag, dem 19. Juli 2025, feiert es seine Premiere.
Ein kurzer Einblick in die Handlung
In dem Stück werden die Zuschauer:innen in eine Parallelwelt entführt. Sie lernen die Gemeinde des Dorfes Kuppron kennen. Diese ernährt sich mittlerweile größtenteils von Erzeugnissen aus der Landwirtschaft. Früher lebte sie aber von dem Gold aus dem Berg Kuppron. Dann erweckt ein fremder Wanderer namens Marius Ratti bei den Einwohner:innen wieder die Idee und die Hoffnung, von dem Gold leben zu können und so alten Reichtum wiederzuerlangen. Um die Dorfbewohner:innen auf seine Seite zu ziehen, instrumentalisiert er Fremdenhass, blinden Gehorsam und Fanatismus. „Am Anfang werden die faschistoiden Ideen Rattis nur belächelt. Später aber werden alle andern mit hereingezogen und der böse Zauber verbreitet sich, bis der Hass das Dorf zerstört“, sagt Arthur Haltrich, der den Marius Ratti spielt.
„Es ist ein spannendes Stück, in dem von Liebe bis Tod alles Menschliche vorkommt und das eine bösartige Karikatur der Gegenwart sein könnte“, sagt Heiner Fangerau. Seine Kollegin Daniela Link verfasste zusammen mit ihm das Drehbuch. Link hat ihre Doktorarbeit über den Roman „Die Verzauberung“ geschrieben. Das führte unter anderem zu der Idee, das Buch in diesem Jahr als Theaterstück umzusetzen.
Wann? Wo? Wie? - die wichtigsten Eckdaten
„Die Verzauberung“ ist eine Produktion des Institutes für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, die am 19./20./25. und 26. Juli im Hörsaal 13B aufgeführt wird. Dieser befindet sich auf dem Gelände des UKD im Gebäude 13.55. Die Aufführung dauert ca. 120 Minuten und beinhaltet eine Pause. Tickets kann man in der Buchhandlung Lehmanns auf dem Campus der Heine-Uni und an der Abendkasse für 5,00 Euro erwerben. Studierende und Mitarbeitende der HHU und des Universitätsklinikums zahlen nur 3,00 Euro. Per E-Mail an theater@hhu.de ist es zudem möglich, Karten zu reservieren.
Die Vorlage
Der Roman wurde von dem Autor Hermann Broch während der Zeit des Nationalsozialismus geschrieben. Das Theaterstück bedient sich hauptsächlich der ersten Fassung, die Broch noch vor seinem Tod vollständig beenden konnte. Jedoch wurden auch kleinere Teile aus der fragmentarischen Version des Romans übernommen. Diese ist nach Brochs Tod aus der ersten Fassung und seiner Überarbeitungen zusammengesetzt worden. Zudem wurden die Geschlechtsidentitäten einiger Figuren für die Bühnenfassung verändert, sodass im Stück mehr Frauen zusehen sind. Dadurch konnte der im Roman dargestellte Geschlechterkonflikt für die Bühne verschärft werden. „In Zeiten alternativer Fakten und wachsendem Nationalismus ist Brochs Text aktueller denn je“, meint die Theatergruppe in dem Begleitheft zum Stück. Denn in dem Buch wird deutlich, wie schnell sich Faschismus ausbreiten und Fuß fassen kann.
Hinter den Kulissen
Während der Proben merkt man, wie viel Spaß und Freude die Studierenden an dem Kurs haben. Immer wieder erfüllt leises Gekicher den Raum, ob wegen der Skurrilität der Szene oder weil mal etwas schiefgeht. Die meisten Schauspieler:innen studieren Medizin. Einige sind aber auch von der Philosophischen Fakultät. Im Vordergrund des Seminars steht der Spaß, aber auch der interdisziplinäre Austausch soll gefördert und die Fähigkeit geschult werden, sich in andere hineinzuversetzen. Dabei ist die größte Herausforderung auch bei langen Proben, die oft bis spätabends gehen, die Aufmerksamkeit und Spannung zu halten. Das Theaterstück selbst ist ein Prozess. Es ist ständig in Bearbeitung und wird laufend weiterentwickelt. So wurde beispielsweise die Rolle eines Erzählers hinzugeschrieben.
Freitagabend im Hörsaal
An diesem Freitagabend rumort bei den Proben der ganze Hörsaal mit Emotionen und beeindruckendem Schauspiel. Zeitweise scheint niemand mehr im Saal zu atmen als Arthur Haltrich als Marius Ratti mit einem verrückten Funkeln in den Augen vor der ersten Reihe die Arme über den Kopf zusammen schlägt und einen Monolog so durchdringend, verrückt und beunruhigend hält, dass man beinahe der festen Überzeugung ist, der Zauber, von dem das Stück erzählt, hätte den Schauspieler höchstpersönlich ergriffen. Doch schon nach zehn Sekunden erfüllt, wegen der Anmerkung von Heiner Fangerau, wieder Lachen den Hörsaal. Denn laut dem Regisseur sei es zwar wundervoll improvisiert gewesen, jedoch nicht wirklich der richtige Text.
Redigat: mf / jw